Mittwoch, 8. August 2007

Nicolas Sarkozy, Jeden Tag eine Schlagzeile, sur www.sueddeutsche.de du 26.07.2007

Ob Tripolis oder Paris, Nicolas Sarkozy setzt sich in jedes Rampenlicht. Manchmal ist das peinlich.


Ein Kommentar von Jeanne Rubner

Jeden Tag eine Schlagzeile - das war bereits die Devise des Innenministers Nicolas Sarkozy. Gelassener ist Sarkozy nicht geworden. Der französische Präsident wirkt hyperaktiv.

Seine Frau Cécilia schickt er nach Tripolis, termingenau zur Freilassung der libyschen Geiseln; nur einen Tag später tauscht er den Bruderkuss mit Muammar el Gaddafi in Tripolis.

Seine Minister lässt er im Wochentakt Gesetzespakete vorlegen - fast könnte einem schwindlig werden angesichts des Tempos der neuen Regierung in Paris. Aber welcher Regierung eigentlich?

Premier François Fillon verblasst im Glanz des mächtigen Präsidenten. Der Staat, das bin ich - scheint nun die tägliche Botschaft Sarkozys zu lauten. Droht Frankreich eine neue Art Monarchie?

Sarkozys Auftritt im libyschen Erpressungstheater war alles andere als eine diplomatische Meisterleistung. Dass er nun mit Gaddafi einen Atomvertrag besiegelt hat, ist Teil der französischen Tradition, Atommeiler in alle Welt zu verkaufen.

Gegen ein solches Geschäft aber spricht, dass Libyen immer noch eine Diktatur ist - wenigstens hat das Land den Kernwaffensperrvertrag unterzeichnet.

egitim wiederum ist gewiss, wenn der Staatschef einer Nation, die traditionell enge Bindungen zu Nordafrika hat, diese - in Absprache mit dem Rest Europas - weiterhin pflegt. Sein Vordrängeln in der Geiselaffäre jedoch zeugt von wenig Fingerspitzengefühl.

Aufmerksamkeit heischend setzte sich das Präsidentenpaar Sarkozy in Szene, nachdem andere EU-Politiker über lange Zeit im Stillen die Bedingungen für die Öffnung der libyschen Kerkertüren bereits ausgehandelt hatten. Das wirkt nur peinlich.

Wenn Sarkozy aber im Élysée das Tempo vorgibt, dann ist das richtig. Der Präsident weiß, dass er bald gemessen wird an seinen Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu senken und die Kaufkraft zu steigern.

Sarkozy hat allen Grund zur Eile. Frankreich war jahrelang reformunfähig. Und Sarkozys Art zu regieren ist erfrischend ehrlich.

Laut Verfassung hat er fast unbeschränkte Macht, und er nutzt das. Sarkozy und Fillon versuchen erst gar nicht, dem Volk das Märchen vom Präsidenten vorzuspielen, der repräsentiert und vom Premier, der regiert.

Der Präsident schafft an, der Premier führt aus. Klare Verhältnisse also in Paris.

Sarkozys Vorgänger François Mitterrand und Jacques Chirac dagegen benutzten ihre Premierminister gern als Sündenböcke. Auch deshalb haben viele Franzosen das Vertrauen in die Politik verloren, die Krise der Politik war eine Krise der Präsidenten. Paradoxerweise ist es der tatkräftige Sarkozy, der sie beenden könnte.

Ebenfalls im Gegensatz zu seinen Vorgängern hat er Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und Opposition eingebunden. Man mag das als politisches Kalkül abtun - schließlich weiß Sarkozy, dass er die Gegner seiner Reformen braucht, um Widerstand schon im Keim zu ersticken.

Doch die Umarmungsgesten im Élysée sind mehr als nur Taktik. Sarkozy überbrückt damit eine fundamentale Schwäche des französischen Systems.

Die Fünfte Republik hat die Franzosen politisch gesehen ins Kindheitsstadium verbannt. Weil ihre Abgeordneten kaum wirksam gegen die Regierung opponieren können, bleibt dem Volk wenig mehr, als den Protest auf die Straße zu tragen.

Es liegt in der Macht des neuen Präsidenten, Frankreichs Politik erwachsen werden zu lassen. Eine neue Verfassung, eine Sechste Republik, wird es auf absehbare Zeit zwar nicht geben, dazu fehlt die Mehrheit.

Doch Sarkozy hat bereits eine Menge Staub aufgewirbelt, der sich auf den Institutionen der Fünften Republik abgesetzt hatte. Jetzt muss er sein Versprechen einlösen, den Volksvertretern die Teilhabe zu gewähren, die ihnen in einer Demokratie zusteht.

Für den mächtigen Präsidenten bedarf es eines mächtigen Parlaments als Gegengewicht. Nur so kann Sarkozy auf Dauer seine ehrgeizigen Reformen legitimieren. Schlagzeilen alleine reichen nicht.

(SZ vom 26.7.2007)

Sarkozys Atomdeal mit Gaddafi erzürnt deutsche Politik, sur www.spiegel.de le 27.07.2007

"Rücksichtlos, nationalistisch, primitiv": Für seinen Atomdeal mit Libyen bezieht Frankreichs Präsident Sarkozy Prügel aus Deutschland - parteiübergreifend. Bush sei gegen ihn ein Waisenknabe, schallt es aus der SPD. Die Grünen ätzen, bald sei Staatschef Gaddafi wohl ein "lupenreiner Demokrat".

Passau - Mit seinen ersten Schritten auf außenpolitischem Parkett macht sich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in Berlin kaum Freunde. Seine Zusage für den Bau eines Atomreaktors in Libyen löst Empörung quer durch die Parteien aus.

Sarkozys Zusage sei "sicherheitspolitisch höchst bedenklich", erregte sich Grünen-Chef Reinhard Bütikofer in der "Passauer Neuen Presse". "Was Präsident Sarkozy an den Tag legt, ist rücksichtsloser, nationalistisch gefärbter Aktionismus." Es würde ihn nicht wundern, wenn Sarkozy demnächst über den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi sage, dieser sei "ein lupenreiner Demokrat". Frankreich erleichtere mit seinem Schritt den "Griff nach Atomwaffen", kritisiert Bütikofer. "Zwar hat Gaddafi der Atomtechnik abgeschworen, aber wie glaubhaft ist ein Diktator?"

SPD-Fraktionsvizechef Ulrich Kelber wirft Frankreichs Staatsoberhaupt vor, er habe sich nur deshalb in die Verhandlungen zur Freilassung bulgarischer Krankenschwestern aus Libyen eingeschaltet, um der französischen Industrie Aufträge zu verschaffen. "Es ging ihm um Show und die primitive Durchsetzung seiner Interessen. Das kennt man sonst nur von Despoten, selbst US-Präsident George W. Bush ist dagegen ein Waisenknabe", sagte Kelber der "Passauer Neuen Presse". Atomtechnik nach Libyen zu liefern sei "ein völlig falscher Schritt". Selbst wenn Gaddafi nicht an Atomwaffen interessiert sei, wisse niemand, wer nach Gaddafi an die Macht komme. Zum vorgegebenen Ziel der Meerwasserentsalzung seien solarthermische Kraftwerke besser geeignet.

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Gert Weisskirchen, betont in der "Berliner Zeitung", man solle dem libyschen Interesse, "aus der Schmuddelecke zu kommen und Anschluss an Europa zu finden", zwar pragmatisch begegnen. Dazu könne man aber andere Formen der Zusammenarbeit als die Lieferung eines Atomkraftwerks finden.

Der Libyen-Experte der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich, kritisiert die EU-Kommission, die die Lieferung des AKW als eine bilaterale Angelegenheit Frankreichs und Libyens bezeichnet hatte. "Ich erachte das für unhaltbar, insbesondere deshalb, weil wir in der EU von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sprechen. Da sollte die EU-Kommission schon selbstbewusst genug sein, darauf hinzuweisen, dass das eine Angelegenheit der ganzen Union ist", sagte Mützenich der "Thüringer Allgemeinen".

Kritik auch aus der Bundesregierung

Diese Sichtweise hatte zuvor bereits der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), vertreten. Er widersprach der EU-Kommission, die die Vereinbarung als eine französische Angelegenheit ansieht. Der Regierung in Paris wirft er vor, mit dem Abkommen gegen deutsche Interessen zu agieren (mehr...). "Deutsche Interessen sind durch Siemens und den Standort Erlangen direkt mit betroffen", sagte er dem "Handelsblatt". Da beim Export von Atomtechnik auch europäische Sicherheitsinteressen berührt sein könnten, forderte Erler eine Konsultation der deutschen und der französischen Regierung. Das Geschäft über den Atomreaktor soll eine Tochtergesellschaft der staatlichen französischen Nuklearholding Areva abwickeln, an der Siemens mit 34 Prozent beteiligt ist.

Der Obmann der Union im Bundestag, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CSU), schloss sich Erlers Kritik an. "Es wäre wünschenswert, wenn solche Schritte gesamteuropäisch abgestimmt werden", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Frankreich habe den "Sorgen und Bedenken in Europa" über die Stabilität Libyens und angrenzender Region "keine Rechnung getragen".

Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz, warnt Sarkozy davor, mit Alleingängen die Schlagkraft der EU zu schwächen. "Mein Eindruck ist, dass er an zu vielen Ecken gleichzeitig Aktivitäten entwickeln möchte", sagte Polenz. "Das ist in der Innenpolitik sicher auch erforderlich. In der Außenpolitik gehört allerdings die Abstimmung mit den europäischen Partnern dazu. Auch wenn die manchmal Zeit kostet, muss Frankreich daran gelegen sein, die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken. Das wird durch solche Alleingänge nicht geschehen."

Hilfe ja - aber mit Atomkraftwerken?

Der CDU-Politiker äußerte sich skeptisch zum geplanten Atomabkommen. "Ich sehe das kritisch. Denn Libyen ist nach wie vor aus meiner Sicht ein Staat, der nicht stabil ist und der die Menschenrechte nicht respektiert. Das Land ist auf dem Weg zurück in die internationale Staatengemeinschaft, und dabei soll man Libyen helfen." Das müsse aber nicht gleich mit Atomkraftwerken sein.

Dagegen nannte Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) die Kooperation eine logische Folge des Verzichts Libyens auf sein geheimes Atomwaffenprogramm im Jahr 2003. "Staatschef Gaddafi hat kein Interesse an neuen Sanktionen gegen sein Land", sagte Schockenhoff der "Berliner Zeitung". Libyen müsse eine Chance auf wirtschaftliche Entwicklung gegeben werden. Es müsse aber sichergestellt werden, dass sich das Programm ausschließlich auf die zivile Nutzung der Atomkraft beschränke.

Frankreich hatte sich am Mittwoch mit Libyen im Grundsatz auf den Bau eines Atomreaktors in dem nordafrikanischen Land geeinigt. Dieser soll Energie zur Meerwasserentsalzung liefern. Der konservative Sarkozy hat bereits in der Debatte um die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und um den Abbau der Staatsverschuldung für Zündstoff in der EU gesorgt.

phw/AFP/AP/Reuters/dpa/ddp