Ob Tripolis oder Paris, Nicolas Sarkozy setzt sich in jedes Rampenlicht. Manchmal ist das peinlich.
Ein Kommentar von Jeanne Rubner
Jeden Tag eine Schlagzeile - das war bereits die Devise des Innenministers Nicolas Sarkozy. Gelassener ist Sarkozy nicht geworden. Der französische Präsident wirkt hyperaktiv.Seine Frau Cécilia schickt er nach Tripolis, termingenau zur Freilassung der libyschen Geiseln; nur einen Tag später tauscht er den Bruderkuss mit Muammar el Gaddafi in Tripolis.
Seine Minister lässt er im Wochentakt Gesetzespakete vorlegen - fast könnte einem schwindlig werden angesichts des Tempos der neuen Regierung in Paris. Aber welcher Regierung eigentlich?
Premier François Fillon verblasst im Glanz des mächtigen Präsidenten. Der Staat, das bin ich - scheint nun die tägliche Botschaft Sarkozys zu lauten. Droht Frankreich eine neue Art Monarchie?
Sarkozys Auftritt im libyschen Erpressungstheater war alles andere als eine diplomatische Meisterleistung. Dass er nun mit Gaddafi einen Atomvertrag besiegelt hat, ist Teil der französischen Tradition, Atommeiler in alle Welt zu verkaufen.
Gegen ein solches Geschäft aber spricht, dass Libyen immer noch eine Diktatur ist - wenigstens hat das Land den Kernwaffensperrvertrag unterzeichnet.
egitim wiederum ist gewiss, wenn der Staatschef einer Nation, die traditionell enge Bindungen zu Nordafrika hat, diese - in Absprache mit dem Rest Europas - weiterhin pflegt. Sein Vordrängeln in der Geiselaffäre jedoch zeugt von wenig Fingerspitzengefühl.
Aufmerksamkeit heischend setzte sich das Präsidentenpaar Sarkozy in Szene, nachdem andere EU-Politiker über lange Zeit im Stillen die Bedingungen für die Öffnung der libyschen Kerkertüren bereits ausgehandelt hatten. Das wirkt nur peinlich.
Wenn Sarkozy aber im Élysée das Tempo vorgibt, dann ist das richtig. Der Präsident weiß, dass er bald gemessen wird an seinen Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu senken und die Kaufkraft zu steigern.
Sarkozy hat allen Grund zur Eile. Frankreich war jahrelang reformunfähig. Und Sarkozys Art zu regieren ist erfrischend ehrlich.
Laut Verfassung hat er fast unbeschränkte Macht, und er nutzt das. Sarkozy und Fillon versuchen erst gar nicht, dem Volk das Märchen vom Präsidenten vorzuspielen, der repräsentiert und vom Premier, der regiert.
Der Präsident schafft an, der Premier führt aus. Klare Verhältnisse also in Paris.
Sarkozys Vorgänger François Mitterrand und Jacques Chirac dagegen benutzten ihre Premierminister gern als Sündenböcke. Auch deshalb haben viele Franzosen das Vertrauen in die Politik verloren, die Krise der Politik war eine Krise der Präsidenten. Paradoxerweise ist es der tatkräftige Sarkozy, der sie beenden könnte.
Ebenfalls im Gegensatz zu seinen Vorgängern hat er Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und Opposition eingebunden. Man mag das als politisches Kalkül abtun - schließlich weiß Sarkozy, dass er die Gegner seiner Reformen braucht, um Widerstand schon im Keim zu ersticken.
Doch die Umarmungsgesten im Élysée sind mehr als nur Taktik. Sarkozy überbrückt damit eine fundamentale Schwäche des französischen Systems.
Die Fünfte Republik hat die Franzosen politisch gesehen ins Kindheitsstadium verbannt. Weil ihre Abgeordneten kaum wirksam gegen die Regierung opponieren können, bleibt dem Volk wenig mehr, als den Protest auf die Straße zu tragen.
Es liegt in der Macht des neuen Präsidenten, Frankreichs Politik erwachsen werden zu lassen. Eine neue Verfassung, eine Sechste Republik, wird es auf absehbare Zeit zwar nicht geben, dazu fehlt die Mehrheit.
Doch Sarkozy hat bereits eine Menge Staub aufgewirbelt, der sich auf den Institutionen der Fünften Republik abgesetzt hatte. Jetzt muss er sein Versprechen einlösen, den Volksvertretern die Teilhabe zu gewähren, die ihnen in einer Demokratie zusteht.
Für den mächtigen Präsidenten bedarf es eines mächtigen Parlaments als Gegengewicht. Nur so kann Sarkozy auf Dauer seine ehrgeizigen Reformen legitimieren. Schlagzeilen alleine reichen nicht.